Zum Ende bei Zanders - „Solche Leute würden von einer Trauerfeier rausgeworfen.“

Basisgruppe GL

Bergisch Gladbach: Der 30.04.2021 war der letzte Tag für die 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der traditionsreichen Zanders Papierfabrik Bergisch Gladbach. Sie wurden zum 1. Mai 2021 in die Arbeitslosigkeit mit ungewisser Zukunft geschickt. Währenddessen üben sich Stadt, Stadtrat und Politik in Selbstbeweihräucherung und Legendenbildung, weisen die Mitschuld von sich, verbreiten Zukunftspläne und verteilen noch bei der Beerdigung das wertvolle Erbe. Das macht angesichts der Betroffenen und deren Familien fassungslos und wütend.

Wahrheit oder Legendenbildung?
Schon ein Tag nach der Schließung der Papierfabrik und der damit verbundenen Maßentlassung wird an der Legendbildung gearbeitet und man verbiegt Fakten und Wahrheit, um das gutes Gewissen zu beruhigen und um das eigene Scheitern vor den Bürgerinnen und Bürgern und der Zanders-Belegschaft nicht eingestehen zu müssen.

Mitschuld der Stadt und des Stadtrats
Auch wenn die Hauptverantwortung und Hauptschuld eindeutig bei der Investorengruppe zu suchen ist,  wird hinter vorgehaltener Hand getuschelt, dass die Stadt und der Stadtrat mindestens eine Mitschuld an dem Desaster um Zanders haben. Es gab Stimmen im Stadtrat, die seit Monaten ganz unverhohlen eine Umwandlung und Vollkonversion des Zandersgelände gefordert hatten. Voraussetzung für diese Planungen war eine Schließung der Papierfabrik. Nur die „Zanderianer“ standen diesen politischen Kommunalvertretern noch im Weg.  

Es macht richtig wütend, dass genau diese Stimmen sich nun durchsetzen konnten. Alle Stadtratsfraktionen hatten am die Drohung mit Zwangsräumung des Zanders-Gelände einstimmig unterstützt. Erst im Stadtrat. Später wiederholten alle Fraktionsvorsitzenden gemeinsam mit GRÜNEN, SPD, FDP, CDU, AfD, FWG, BPGL diese Absicht. Hierbei wurde mit der Angst der Belegschaft gespielt und sie wurde in unmoralischer Weise als Verhandlungsmasse und Drohkulisse eingesetzt. Mit einem Forderungspaket hat man einstimmig dafür gesorgt, dass die Stadt Bergisch Gladbach keinen langfristigen Mietvertrag für Zanders abschließt.

(Zur Erläuterung: DIE LINKE. ist aktuell nicht im Stadtrat Bergisch Gladbach vertreten und hätte diese Strategie und Kurs der Stadt nicht mitgetragen.)

Ohne Mietvertrag wurden Investitionen gestoppt
Genau das nahm der Inverstor in der letzten Woche als Vorwand keine weiteren Investitionen mehr tätigen zu wollen. Ohne einen langfristigen Mietvertrag wollte die Jool-Gruppe als Eigentümer der Zanders Paper GmbH kein frisches Geld nachschießen, mit dem die offenen Forderungen hätten beglichen werden können, so deren Stellungnahme.

Bis heute ist nur schwer nachvollziehbar, warum die Stadt dieses vergleichsweise geringe Risiko eine solchen Mietvertrags nicht eingegangen ist und Zanders eine langfristige Vereinbarung angeboten hat. Hier wurde eine Chance vertan.


Rechtliches Verwirrspiel
Die Stadt hatte durchaus die Möglichkeit einen Vertrag zu schließen und wird auch durch Wettebewerbsrecht, Beihilferecht oder das Insolvenzrecht nicht ausgeschlossen, wie behauptet wurde. Allerdings hatte die Stadt und der Stadtrat schlicht Angst, dass mögliche Regressforderungen auf die Ratsmitglieder zukommen könnten. Doch die damit verbundene juristische Konstruktion ist aber eher unwahrscheinlich.
Hinzu tritt, dass die Stadt dieses Problem gegenüber den Gläubigern, Dienstleister und Lieferanten und im Markt hätte anzeigen können, damit diese auch wissen, was vorgeht. Um dann das noch kleiner gewordene finanzielle Restrisiko zu kompensieren, hätte man Sonderrückstellungen im Haushalt bilden können, bis das Insolvenzverfahren beendet gewesen wäre.
Wäre es dann immer noch und kurzfristig zu eine Schließung gekommen, hätte es zumindest an etwas anderen Gründen gelegen. (z.b.: Steuerforderungen, Abgaben, etc.) Probleme mit der langfristigen Vertragsbedingung für das Gelände hätte man für diesen Fall vertraglich regeln können.

Pläne der Investorengruppe blieben undurchsichtig
Wir wissen nicht, ob die Investoren sich auch mit einem Mietvertrag an ihre Aussagen gehalten hätten. Die letzten Monate mit Versprechungen haben misstrauisch gemacht. Hinzu trat, dass kein wirtschaftliches Konzept vorgelegt werden konnte, so wie es gefordert wurde und auch notwendig war, um eine Liquidation abzuwenden. Hätte die Jool-Gruppe diese Forderung der Stadt und des Stadtrats erfüllt, hätten diese dann doch einen langfristigen Mietvertrag angeboten. Hier haben die Investoren ihre Zusagen nicht eingehalten.
 
Auch wenn die Stadt eine Mitverantwortung für die Schließung hat, liegt die Hauptverantwortung eindeutigbei den Investoren und Eigentümern. Der Verdacht liegt nahe, dass es der Jool-Gruppe um ganz andere Ziele ging. Möglicherweise kam ihnen die Blockade aus dem Stadtrat gerade recht, um sich damit aus der Affäre und Verpflichtungen ziehen zu können. Vielleicht haben sie auch genau das erreicht, was sie von Anfang an beabsichtigt haben, die Stadt und der Stadtrat sind ihnen „auf den Leim gegangen“ und die Joo-Gruppe geht am Ende als „Sieger“ aus dem kapitalistischen „Invest“ hervor. Darüber werden möglicherweise noch Gerichte entscheiden müssen. Ob wir es erfahren werden?

Risiko war überschaubar
Die Drohung mit Zwangsräumung des Werks Anfang 2021 war nicht nur falsch, sondern auch unmoralisch. Dieses unnötig eskalierende Vorgehen hat die Zanderianer und das Werk geschwächt und in Gefahr gebracht.

Heute kennen wir die Folgen der harten Strategie des Stadtrats. Das überschaubare Risiko wäre es wert gewesen und vielleicht würde Zanders heute erfolgreich Papier produzieren, wenn sich die Stadt auf einen Mietvertrag eingelassen hätte. DIE LINKE. hat dem Stadtrat vorgeschlagen Sonderrückstellungen im Haushalt zu bilden, um etwaige überschaubare finanzielle Risiken kompensieren zu können. Leider blieb der Vorschlag erfolglos, denn man wollte im Stadtrat unbedingt einen harte Weg einschlagen. Selbst wenn es später zu doch einem Ende gekommen wäre, hätte diese letzte Chance früher genutzt werden sollen.

Jetzt wird die Stadt, der Stadtrat und die verantwortlichen Kommunalparteien für immer mit dem Vorwurf leben müssen, dass nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, um für die Arbeitsplätze und die Existenzen der Familien zu kämpfen.

Folgen und Nachbeben nicht einzuschätzen
Die Schließung des Industriestandorts wird weitreichende Konsequenzen für die Stadt haben, die der öffentlichen Hand und die Steuerzahler*in sehr viel Geld kosten wird. Allein der Verlust der Mieteinnahmen von Zanders liegt für die Stadt schon bei 960.000,- € / jährlich (fast 1. Mio € pro Jahr)  und bis ein neuer neuer Mieter gefunden werden kann können Jahre vergehen. 
Die Nachbeben, die durch mögliche Folgeinsolvenzen im Fahrwasser der Zanders-Schließung für die regionalen Wirtschaft und Unternehmen entstehen könnten, kann man heute noch nicht einschätzen. Diese Risiken sind aber sicher größer als es die Risiken eines Mietvertrags mit Zanders hätte sein können. Auch die Kosten werden nun deutlich größer.

Schließlich waren mehr als 400 Menschen bei, für und mit Zanders beschäftigt. Es gibt oder gab Lieferanten, Dienstleister, Handwerke und unzählige lokale Unternehmen, die mit dem Einkommen der Belegschaft ein Teil ihrer Existenz bestreiten konnten. Mit den vielen neuen Arbeitslosen und deren Familien verliert die Stadt erhebliche Kaufkraft für die Binnenwirtschaft und auch die Aufträge, die das Werk an regionale Betriebe vergeben hat, werden zukünftig fehlen. War es die Blockade des Mietvertrags wert? Sicher nicht!

Scherbenhaufen nach zu hohem Einsatz
Tatsächlich ist die Stadt und der Stadtrat mit ihrer Verhandlungsstrategie gescheitert und steht heute vor einem Scherbenhaufen.
Stadt und Stadtrat haben zu hoch gepokert und mit dabei die Existenzen von Menschen aufs Spiel gesetzt. Am Ende hat der Investor dem Unternehmen Zanders Paper kalt den Todesstoß versetzt!  Leider haben Stadt, Stadtrat und Kommunalpolitik viel zu wenig und eben nicht alles versucht, um das zu verhindern. Das Risiko dafür war gering und überschaubar.
Die letzte „Pokerrunde“ ist nun zu Ende und die eindeutigen Verlierer sind die 400 Menschen und deren Familien. Jetzt haben wir als Stadtgesellschaft alle verloren und müssen jetzt die Zeche dafür bezahlen.

Reaktionen: Wettbewerb der Heuchelei
Im Wettbewerb der Heuchelei schicken die GRÜNEN ihren Wahlkämpfer und Bundestagskandidaten ins Rennen, um ihr „Bedauern“ vorzutragen. Noch vor wenigen Wochen haben die grünen eine Umwandlung des Geländers in Auge gefasst. In der regierenden städtischen Ampelkoalition stellen die GRÜNEN die klar größte Fraktion und waren damit sicher auch maßgeblich an der Androhung der Zwangsräumung und der gescheiterten Verhandlungsstrategie des Stadtrats beteiligt. GRÜN kann sich nicht aus der Verantwortung ziehen.

Die SPD hat noch Kommunalwahlkampf 2020 die Zanderianer für ihre Wahlkampfzwecke missbraucht. Im Januar drohte der neue gewählte SPD-Bürgermeister das Zanders-Gelände zwangsräumen zu lassen, was das sofortige Aus für das Werk und den Verlust der Arbeitsplätze bedeutet hätte. Der Bürgermeister hatte sogar zweitweise den „Runden Tisch Zanders“ verlassen. Und auch der neue SPD-Bundestagskandidat hat eine Solidaritätserklärung für die Zanderianer nicht unterstützt. Heuten tut man so als wäre nichts gewesen und übt sich in „solidarischer“ Phrasendrescherei.

Die FDP Bergisch Gladbach setzt auch auf Wahlkampf und lässt ihren ortsfremden Bundestagskandidaten in einer Erklärung zu Wort kommen. Zu dieser sehr durchsichtigen Wahlkampfstrategie gehört der wiederholt vorgetragene FDP-Vorschlag, das Zandergelände möglichst schnell gewinnträchtig zu verwerten. Wahrscheinlich ist es der wirtschaftsliberalen Vorgaben der FDP geschuldet, dass die Ampel-Koalition im Stadtrat aus GRÜNEN, SPD und FDP Zanders den Mietvertrag verweigert hatte.

Und auch die CDU versucht sich ihre Hände in Unschuld zu waschen und rechtfertigt den Kurs des ehemaligen CDU-Bürgermeisters, der vor der SPD die Verhandlungsführung mit Zanders innehatte. Wie die anderen Parteien und die Pressestelle der Stadt selbst, hebt sie hervor: „.. Letztlich hat einzig und allein der Investor diese Entwicklung zu verantworten.“ und zeigt keinerlei Selbstkritik.

Zanders soll verwertet werden
Schon vor Monaten wurden die Weichen für eine andere Verwertung des Zanders-Gelände gestellt und öffentlich klargestellt, wohin die Reise eigentlich gehen sollte. Die städtische Ampelkoalition aus GRÜNE, SPD und FDP hat schon im Grundlagenpapier zum Wahlkampf 2020 und später im Koalitionsvertrag klare Ansagen über den Verkauf des Geländes gemacht, unterschrieben und auf die Gelderlöse geschielt, die bei einer sogenannte Vollkonversion entstehen. 
Auch DIE GRÜNEN hatten noch im Januar 2020 ganz unverhohlen erklärt, dass man zumindest ein Teil des ZANDERS-Gelände anderweitig verwenden und vermarkten möchte. Der CDU-Landrat wollte dort die Polizei ansiedeln. Die FDP und GRÜNE fabulierten im im Januar 2021 sogar davon, dass man am Standort angeblich mehr Arbeitsplätze schaffen könnte (siehe Bürgerportal in-gl.de), obwohl allen klar war, dass eine umfassende Neuentwicklung zwischen 20-30 Jahren dauern würde.

Es ist unerträglich wie schamlos die Kommunalparteien von einer blühenden Zukunft mit fetten Gewinnen mit dem Zanders-Gelände in ihren aktuellen Erklärungen ausschmücken. Bis auf eine Ausnahmen wollen alle Stadtratsparteien das gemeinsam erlegte Fell scheinbar trauernd noch am „Grab des Toten“ aufteilen.

Gleichzeitig haben 400 Bergisch Gladbacher Familien genau deswegen ihre Existenz verloren und bangen um ihre Zukunft.

Solche neue Planung für eine große Industriebrachen dauern erfahrungsgemäß Jahrzehnte und dann folgt erst die Umsetzung. Es ist einfach unredlich den Menschen vorzugauckeln, dass dort schnell etwas Neues entstehen wird. Es ist perfide, dass man den Eindruck erwecken will, dass dieses den Zanderianern etwas nutzen könnte. Bis dort etwas Neues entsteht wird es lange dauern und solange können die Betroffenen nicht warten.

400 Zanderianer als Kollateralschaden
Die Zanderianer werden wie ein „unvermeidlicher Kollateralschaden“ bei der Stadtentwicklung abgeschrieben und wie ein alter benutzter Lappen weggeworfen. Nachdem man ein Sprüchlein der Solidarität aufgesagt hat, wird sofort zur Tagesordnung übergegangen und es wird von Strukturwandel und neuer Stadtplanung gefaselt.

Jetzt können die Stadtratsparteien ihre Pläne auf „Zanders“ umsetzen, die sie seit Monaten in Pressemitteilungen und internen Absprachen ausgebreitet haben

„Solche Leute würden von einer Trauerfeier rausgeworfen.“  

2. Mai 2021
DIE LINKE. Bergisch Gladbach Basisgruppe Kommunalpolitik

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