Corona-Belastungen nicht den ärmeren und schwächeren Menschen aufbürden!

Soziale Verpflichtung ist moralische Verpflichtung!
DIE LINKE. hat den Haushaltentwurf des Landrats des Rheinisch-Bergischen Kreis am 18.3.2021 im Kreistag abgelehnt und formuliert deutliche Kritik. Für Peter Tschorny, Vorsitzender DIE LINKE. im Kreistag stehen die sozialen Fragen im Vordergrund:  "Wir dürfen die Corona-Belastungen nicht über Umwege von oben nach unten den ärmeren und schwächeren Menschen aufbürden!"

DIE LINKE. lehnt eine Verschiebung der coronabedingten zusätzlichen Kosten im Rheinisch-Bergischen Kreis 25 oder 50 Jahre in die Zukunft ab, denn damit füge man weitere Belastungen den Problemen hinzu, die unsere Kinder und Enkel wegen der Bewältigung des Klimawandels haben werden. Um das zu vermeiden und um den Haushalt sozialverträglich auszugleichen hat DIE LINKE. Kreistagsgruppe einen eigenen Antrag zum Haushalt ausgearbeitet und vorgelegt.

Für Peter Tschorny ist eine nachhaltig sozialverträgliche Lösung in der COVID19-Pandemie nur möglich, wenn alle zusammenhalten, auf allen Ebenen vom Kreis über die Kommunen bis zu den Bürgerinnen und Bürgern - alle Generationen von den Alten bis zu den Jüngsten. 

Hier die ganze Haushaltsrede vom 18.3.2021:


Verantwortlich wirtschaften - Sozial gerecht und bürgernah!


Sehr geehrter Herr Landrat,

sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreisverwaltung - und damit meine ich neben den leitenden Beamten auch die vielen, die nicht im Rampen-Licht der Öffentlichkeit stehen, sehr geehrte Damen und Herren, die heute hier die Öffentlichkeit vertreten, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, wir DIE LINKE. danken dem Landrat und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die in den letzten Monaten geleistete Arbeit.

Sie haben unter den schwierigen Bedingungen der Corona Pandemie mit großem persönlichem Einsatze dafür gesorgt, dass unseren Bürgerinnen und Bürgern der Verwaltungsbetrieb so störungsfrei wie möglich zur Verfügung steht.

Unser Dank für die geleistete Arbeit ist aber nicht in allen Fällen gleichbedeutend mit einem Lob für die Ergebnisse. Für diese ist aber der Kreistag selbst mitverantwortlich.

Unsere Wählerinnen und Wähler erwarten von uns zu Recht, dass wir im Kreistag bürgernah ihre Interessen vertreten. Die Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger im Rheinisch-Bergischen Kreis wird für diese aber nicht spürbar besser, indem wir Hochglanz-Broschüren über Prestige-Projekte für unsere Umwelt, den ÖPNV, Wohnungsbau und Wanderwege veröffentlichen, sondern nur wenn das Ergebnis unserer Politik und unseres Haushaltens auch konkret beim Bürger ankommt.

Ein paar Beispiele:

  • Das Kapital der Flughafen Köln/Bonn GmbH will der Kreistag um mehr als eine Viertel Million Euro aufstocken, ohne Einfluss auf Nachtflüge und Umweltauflagen zu haben.
     
  • Der Rheinisch-Bergische Kreis ist in Höhe von zig Millionen an der RWE AG beteiligt. DIE LINKE. ist zwar generell dafür, dass Einrichtungen der Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand sind; und wir hätten auch gerne kommunale Stromversorger. Aber ohne Einfluss auf z.B. den Braunkohle-Abbau zu haben und die Strompreisgestaltung im Sinne von Geringverdienern beeinflussen zu können, ist der Rheinisch-Bergische Kreis in Höhe von zig Millionen an der RWE AG beteiligt, allein zum Zwecke einer profitablen Kapital-Anlage. Ein „dringender öffentlicher Zweck“ erfordert hier also keine Betätigung; damit ist die Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung bei dieser Aktiengesellschaft nach § 107 Gemeindeordnung zumindest sehr fragwürdig.

Trotzdem ist für solche profitablen Anlagen Geld da; aber was ist mit der Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum für Geringverdiener?

Wäre die Geldanlage bei RWE nicht besser bei der Rheinisch Bergischen Siedlungsgesellschaft untergebracht, wo sie nicht Dividenden generiert, sondern Wohnraum, der vom politischen Willen der Kreis-Kommunen definiert wird?

Was ist mit den behinderten Menschen?

Die Inklusion schleppt sich in den öffentlichen Räumen nur langsam voran.

Was ist mit dem Zustand der Schulen?

Hier fehlt es nicht nur an Hardware, sondern insbesondere an einer leistungsfähigen Anbindung ans Internet, die auch in Zeiten von Homeschooling und Homeoffice nicht zusammenbricht.

Was ist mit den Beziehern von Sozialleistungen des Jobcenters?

Wir hätten laut Beschlusslage des Kreistags im Jobcenter 15 zusätzliche Stellen schaffen können, die vom Bund zu 100% refinanziert werden. Stattdessen lässt das Jobcenter verlauten, dass 6 Stellen ausreichen.

(Trotz des in der Pandemie vereinfachten Antragsverfahrens wissen wir von einigen Jobcenter Kunden, dass sie 2 Monate und länger auf einen Bewilligungsbescheid und ihre zustehenden Leistungen warten mussten.
Das wirft doch einige weitere Fragen auf:
Wenn die Stellenbesetzung ausreichend ist, warum müssen Leistungsberechtigte dann so lange auf Leistungen warten?
Warum stellen die Mitarbeiter bei längeren Antragsverfahren keine Vorschüsse zur Verfügung?
Sind sie vielleicht im Sozialrecht nicht ausreichend geschult?
Kennen sie § 42 SGB I nicht?
§ 42 SGB I, Abs. 1, Satz 1: "Besteht ein Anspruch auf Geldleistungen dem Grunde nach und ist zur Feststellung seiner Höhe voraussichtlich längere Zeit erforderlich, kann der zuständige Leistungsträger Vorschüsse zahlen ...")
Bei einem ausreichenden Personalschlüssel wäre auch Zeit für sozialrechtliche Mitarbeiter-Fortbildungen berücksichtigt!
Oder fehlt es für eine zügige Antragsbearbeitung – und evtl. Auszahlung von Vorschüssen – noch an einer entsprechenden Weisung der Geschäftsführung an die Mitarbeiter?
Vielleicht fehlt den Mitarbeitern einfach die Zeit auch noch Vorschüsse zu bewilligen?)


Warum lassen wir es zu, dass das Jobcenter auf 9 (nicht 6) vollständig vom Bund finanzierte Stellen verzichtet, und – wegen der Arbeitsüberlastung ihrer Mitarbeiter – den  Bedürftigen (ihren sogenannten Kunden!) das Recht vorenthält, dass ihre sozialen Rechte (wie es im Sozialgesetzbuch I heißt) so weit wie möglich verwirklicht werden, und Leistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig zur Verfügung gestellt werden?

Die Liste der Beispiele, dass die Ergebnisse unserer Politik und unseres Haushaltens in vielen Fällen nicht positiv beim Bürger ankommen, ist leider nicht abschließend.

Wie im Budget-Plan eines Geschäfts geht es in einem Haushalts-Plan vordergründig um Zahlen. Wenn wir auch zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger verantwortlich wirtschaften müssen, ist unser Unternehmen doch kein Geschäft.

Wäre der Rheinisch-Bergische Kreis ein Geschäft oder ein Wirtschafts-Unternehmen, wäre er zweifellos eher eine Genossenschaft als eine Aktiengesellschaft. Der Rheinisch-Bergische Kreis gehört nicht wenigen Kapital-Eignern, sondern allen ansässigen Bürgerinnen und Bürgern. Und diese haben auch alle gemeinsam das Recht der Mitbestimmung.

Darum darf es uns hier nicht nur um Geld und Zahlen gehen, sondern in der Hauptsache muss es uns um alle Bürgerinnen und Bürger dieses Kreises gehen, um jede und jeden einzelnen, auch um die, die keine andere Stimme haben als unsere!

In den Haushalts-Beratungen aller Fraktionen wurde die Erhöhung der Kreisumlage lange und intensiv hin und her diskutiert. Wenn es dabei nur darum ginge, dass sich der Kreis einen weitgehend ausgeglichenen Haushalt erlaubt, wäre das in diesen Zeiten kein Grund stolz auf sich zu sein!

Mit einer weitgehend schwarzen Null erschwert der Rheinisch-Bergische Kreis seinen verschuldeten Kommunen, ihren sozialen Verpflichtungen nachzukommen. Bei diesen handelt es sich dabei aus buchhalterischer Sicht meistens um so genannte "freiwillige Leistungen"; aber anständige Kommunalpolitiker sehen in der "weitgehenden Verwirklichung der sozialen Rechte" - wie es im Sozialgesetzbuch I heißt - zumindest eine moralische Verpflichtung.

Eine Erhöhung der Kreisumlage müssten die Kommunen durch Erhöhung der Steuern an die Bürgerinnen und Bürger weitergeben.

Wo die Grundsteuer B erhöht wird, geben Vermieter die höheren Nebenkosten an die Mieter weiter.

Bei der angespannten Wohnungsmarkt-Situation wären die Leidtragenden wieder die Menschen mit unteren und niedrigen Einkommen und Wohnungssuchende.

Wir dürfen aber die Corona-Belastungen nicht über diese Umwege von oben nach unten den ärmeren und schwächeren Menschen aufbürden!

Die buchhalterische Isolierung und langjährige Abschreibung der Corona-bedingten Belastungen ist nicht die Lösung aller damit in Zusammenhang stehenden Probleme.

Wir können nicht in die Zukunft blicken. Aber davon auszugehen, dass es in 25 bis 50 Jahren nicht mehr Krisen geben wird als in dieser Zeit, sei es durch Pandemien oder den Klimawandel, halten wir für naiv und realitätsfremd.

Deshalb sollten den Corona-bedingten Aufwendungen, da wo es rechtlich nicht verpflichtend ist, keine außerordentlichen Erträge nach dem NKF-COVID-19-Isolierungsgesetz (NKF-CIG) gegenübergestellt werden. Die Corona bedingten Mehraufwendungen für die Kosten der Unterkunft (nach Sozialgesetzbuch II) sollten in Höhe der Bundesbeteiligung nicht nach dem COVID-19-Isolierungsgesetz isoliert werden, damit die Belastungen für zukünftige Generationen nicht unnötig addiert werden.

Sonst fügen wir unsere heutigen Belastungen den Problemen hinzu, die unsere Kinder und Enkel wegen der Bewältigung des Klimawandels haben werden.

Eine nachhaltig sozialverträgliche Lösung ist aber in dieser Situation nur möglich, wenn wir alle zusammenhalten, auf allen Ebenen vom Kreis über die Kommunen bis zu den Bürgerinnen und Bürgern - alle Generationen von den Alten bis zu den Jüngsten.

Konkret bedeutet das u.a. auch, das vielfach ungeliebte Wort „Verzicht“ neu zu denken:

Verzicht ist nicht nur ein notwendiges Übel. Verzicht ist eine Chance zu einem neuen Verständnis von Lebens-Qualität, zu neuen Lebensweisen und des Miteinanders in den Kommunen des Rheinisch-Bergischen Kreises.

Ich komme mit meiner Moral-Predigt zum Schluss:

Der Rheinisch-Bergische Kreis sollte auf eine „komfortable“ Haushaltslage verzichten, damit die Kommunen die Bürgerinnen und Bürger nicht über Gebühr mit höheren Steuern belasten müssen.

Die Kommunen sollten Aufwendungen für Soziales, Jugend und Familie nicht als "freiwillige Leistungen" behandeln, sondern als solidarisches Gebot gegenüber denen, die unter den Pandemie-Folgen besonders leiden.

Und die Vermieter sollten sich überlegen, ob sie es wirklich nötig haben, Kostenerhöhungen umgehend eins zu eins ihren Mietern in Rechnung zu stellen.

Was die Verabschiedung des Haushalts betrifft sehen wir uns als DIE LINKE. in einem weitgehenden Konsens mit den anderen Fraktionen in dem Punkt, die Kreisumlage zumindest im Jahr 2021 nicht zu erhöhen, damit die Bürgerinnen und Bürger der Städte und Kommunen im Kreis nicht mit höheren Steuern belastet werden müssen.

Um den Belastungen zukünftiger Generationen nicht noch weitere hinzuzufügen, halten wir es aber für angebracht, auf die maximale Ausschöpfung des in der jetzigen Pandemie rechtlich Möglichen zu verzichten.

Eine vollständige Isolierung der Corona-bedingten Belastungen – ohne Gegenrechnung von Einnahmen aus der höheren Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft – lehnen wir daher ab.

Der von uns vorgelegte Änderungsantrag, die Isolierung der Kosten der Pandemie nach dem COVID-19-Isolierungsgesetz – in Höhe der Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft – abzulehnen, findet sicher nicht die Zustimmung des Kreistags.

Wir würden uns aber freuen, wenn der Kreistag bei seiner Beschlussfassung über den Haushalt den Landrat beauftragen würde, gemeinsam mit den kreisangehörigen Kommunen eine Resolution zu erarbeiten, welche den Bund und das Land Nordrhein-Westfalen auf die schwierige Lage der Kommunen aufmerksam macht, um politischen Druck zu erzeugen, damit die Kommunen bei den Kosten der Pandemie über das Jahr 2022 hinaus entlastet und ihnen zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Wenn Sie mir bis hierhin gefolgt sind, werden Sie vielleicht verstehen, dass wir als DIE LINKE. dem Haushaltsplan für das laufende Jahr 2021, trotz Übereinstimmung mit einzelnen Änderungsvorschlägen, NICHT zustimmen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
(Peter Tschorny, DIE LINKE. Kreistagsgruppe im Rheinisch-Bergisch Kreis)