75 Jahre Ende des Kriegs im Bergischen Land und Verbrechen in der Wenzelnbergschlucht

Tomás M. Santillán

Zwischen dem 12. und 16. April 1945 befreiten die alliierter Streitkräfte die Städte und Gemeinden im Bereich des heutigen Rheinisch-Bergischen Kreis von den verbrecherischen Regime der Nationalsozialisten.

April 1945 Kriegsende im Bergischen Land

Am 12. April 1945 erreichten die alliierten Truppen Refrath (heute Bergisch Gladbach) und Hoffnungsthal bei Rösrath. In Hoffnungsthal befreiten die US-Truppen 1.500 Kriegsgefangene aus einem dortigen Lager.

Gegen Mittag des 13. April erschienen dann auch der erste amerikanische Panzer in Bensberg. Durch den mutigen Einsatz von Erna Klug, Mutter von fünf Kindern und Elisabeth Fritzen konnte in Bensberg Schlimmeres verhindert werden. Dennoch kam es zu einem Feuergefecht bei dem 3 deutsche Soldaten getötet wurden. Ebenfalls am 13. April kam es in Schildgen zu sinnlosen Kämpfen zwischen amerikanischen und deutschen Soldaten und Hitlerjugend, bei dem 18 Menschen starben. Die heutige Stadtmitte Bergisch Gladbach wurde am gleichen Tag durch persönlichen Einsatz von Charly Vollmann glücklicherweise kampflos an die vorrückenden Truppen übergeben. Noch am gleichen Tag stand Dürscheid unter schweren Artilleriebeschuss. Zur selben Zeit besetzten die Amerikaner, von Seelscheid kommend, Overath.

Am Folgetag (14. April 1945) erreichten US-Soldaten Kürten-Spitze. Dort gab es einen „heißen Empfang" den 21 deutsche Soldaten mit dem Leben bezahlen mussten. Die 21 gefangenen Soldaten wurden Berichten zufolge abgeführt und von amerikanischen Soldaten erschossen. Später konnten die Gerichte keine Täter ermitteln und niemand wurde dafür zur Verantwortung gezogen. Am gleichen Tag befreiten US-Soldaten Wermelskirchen. Diese war zuvor zur Lazarettstadt erklärt worden und wurde deshalb nicht verteidigt oder angegriffen.

In der Nacht vom 15. auf den 16. April 1945 lag Burscheid unter Artilleriebeschuss. Die offizielle Übergabe der Stadt fand am 16. April gegen 19 Uhr statt. An diesem Tag marschierten US-Truppen weitgehend kampflos auch in Leichlingen und Odenthal ein. Über diese Zeit gibt es viele Geschichten von kleinen und großen Helden, darunter insbesondere Frauen, aber leider auch von falschem Heldenmut und verblendeten Fanatismus.

Am 17. April 1945 ist der Krieg im heutigen Rheinisch-Bergischen Kreis zu Ende. In anderen Teilen des Bergischen Land kämpften deutsche Soldaten, Volksturm und Hitlerjugend vereinzelt noch bis zum 21. April 1945. Verantwortlicher Generalfeldmarschall Walter Model, der bis zuletzt den Befehlen Adolf Hitlers folgte, beging am 21. April Selbstmord. Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches erfolgte dann 3 Wochen später am 8. Mai 1945.

Verbrecherische Erschießungen noch kurz vor dem Ende

Noch am 13. April 1945, also nur wenige Stunden bevor amerikanische Truppen den Norden des heutigen Rheinisch-Bergischen Kreis erreichten, wurden von den Nationalsozialisten in einer Schlucht am Wenzelnberg 71 politische Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter aus verschiedenen Gefängnissen der Region ohne Prozess hingerichtet und verscharrt. Nach offiziellen Angaben wurden die Männer dort paarweise an den Daumen zusammengebunden und durch Genickschuss getötet. Ortsansässige sprechen auch von nicht erschossenen Männern, die gefesselt in die Grube fielen und lebendig begraben wurden.

Seit dem 1. April 1945 waren ca. 325.000 deutsche Soldaten  und 5 Mio. Zivilisten im sogenannten Ruhrkessel zwischen Siegen und Dortmund von den alliierten Streitkräften eingeschlossen und die US-Streitkräfte rückten nach. Die Befehlshaber und Beteiligten wussten sehr genau, wie nah diese waren und wussten, dass es zu Ende ging, denn Ort für Ort wurde eingenommen. Die militärische Lage war völlig aussichtslos und die verblieben Teile der Wehrmacht befanden. 

Nach Anweisung des Reichssicherheitshauptamtsamt gab Generalfeldmarschall Walter Model, oberster Befehlshaber der Heeresgruppe B (welche im Ruhrkessel eingeschlossen wurde), am 7. April 1945  trotzdem den verbrecherischen Befehl aus: „Zuchtgefangene, die in den innerhalb der vom Feind eingeschlossenen Gebiete befindlichen Strafanstalten einsitzen, ... der Sicherheitspolizei zur sicherheitspolizeilichen Überprüfung zu übergeben.“  Diesen Befehl gibt SS-Obergruppenführer Karl Gutenberger weiter, unterstützt vom Wuppertaler Gestapochef Josef Hufenstruhl.

Am 10. April verlangten 4 Gestapo-Beamte im  Zuchthauses Remscheid-Lüttringhausen die Herausgabe von Gefangenen. Regierungsrat und Direktor Dr. Karl Engelhardt versuchte, entgegen den Anweisungen eine möglichst geringe Zahl von Menschen zu benennen. Aus eigenen Antrieb und weil er aus christlicher Überzeugung ein Gegner der Todesstrafe war, wählte er statt politischer Gefangene ersatzweise mehrheitlich schwere unpolitische Straftäter aus und gab sie gegenüber der Gestapo als politische Gefangene aus. Ihm gelang es die Zahl auf 61 Gefangene zu reduzieren. Ein Häftling konnte fliehen. Am 12. April wurden 60 Gefangene in Lastwagen nach Wuppertal gebracht. Einen Tag später wurden weitere Inhaftierte, vier aus dem Gefängnis Wuppertal-Bendahl, vier Zwangsarbeiter aus dem Polizeigefängnis Ronsdorf, drei waren Unbekannte, wegtransportiert.

Die Erschießung erfolgte in der Wenzelnbergschlucht in den Sandbergen im heute zu Langenfeld (Rheinland) gehörenden Wiescheid an der Stadtgrenze zu Solingen. Die Täter: Ein Kommando aus Solinger und Wuppertaler Gestapoleuten und Kripobeamten. 

Politische Gefangene sollten getötet werden.

Unter den Ermordeten befanden sich neben Straftätern auch antifaschistische Funktionäre der Arbeiterbewegung. Auf der Liquidationsliste der Gestapo standen eigentlich noch weitere politische Gefangene, die aber nicht zur Schlucht am Wenzelnberg gebracht wurden und so überlebten. So auch Kaplan Rossaint, der 1937 im Berliner „Katholikenprozeß“ verurteilt worden war. Er berichtete später: „Für uns war das Warten zermürbend, immer wieder sickerte eine Meldung durch, die Gestapo kommt, dann kam sie aber doch nicht. Wieder ein Tag gewonnen, bis es dann am 12.4.45 doch soweit war. Da der Anstaltsleitung dieser Abholtermin bekannt war, wurden von ihr eine Anzahl politischer Häftlinge etwa ein bis zwei Tage vorher verlegt. Für uns war das unerklärlich. Einige Häftlinge kamen nach Remscheid ins Polizeigefängnis, ein anderer Teil wurde dem Kommando „Blindgänger-Entschärfer“ bzw. dem „Bombenräumkommando“ zugeteilt, andere gingen irgendwohin auswärts auf Arbeitskommando; und mit allen gingen deren Personalakten mit. Diese Häftlinge und ihre Akten waren dann am Tage ihrer Abholung durch die Gestapo weder für diese noch für die Anstaltsleitung greifbar. Nur deutsche Häftlinge wurden auf diese Weise verlegt. Die Verwaltung hatte von vornherein der Gestapostelle keine Liste mit den Namen ausländischer Häftlinge vorgelegt. Auch meine Akte wurde von der Anstaltsleitung der Gestapo nicht vorgelegt, obwohl ich während der ganzen Zeit im Hause blieb“.

Die Opfer werden nicht vergessen

Die Namen der Opfer in der Wenzelnbergschlucht sind: Ludwig Baumann, Hugo Breemkötter, Josef Breuer, Leopold Choncenzey, Wilhelm  Clemens, Christian Döhr, Heinrich Dietz, Adolf Führer, Bernhard Funkel, Wilhelm Fatscher, Johann Galwelat, Otto Gaudig, Karl Gabowski, Wilheim Gietmann, Albert Grandt, Johann  Hense, Adolf Hermanns, Karl  Horn, Wilhelm Hanrath, Hans  Holzer, Ferdinand Jahny, Wincente Jankowski, Polen, Hermann Jäger, Friedrich Knopp, Artur Koch, Friedrich Kamleiter, Jakob  Krieger sen., Josef Kuhnt, Heinrich Kubick, Rudolf Käferhaus, Daniel Kresanowski, UdSSR, Walter Kuhlmann, Wilhelm  Kranz, Max Lang, Erich Lohmer, Paul Liszum, Hermann  Landtreter, Horst Lettow, Henri Liebisch, Ferdinand Margreiter, Heinrich Marth, Otto Markus, Gustav Marnitz, Franz Müller, Walter Nell, Josef Nikolay, Hubert Offergeld, Heinrich  Rode, Adolf Röder, Herbert  Runkler, Sylvester Sniatecki, Heinrich  Schlieper, Karl  Schulz, Wilhelm  Stangier, Mitrofan  Saitzki, UdSSR, Franz  Spitzlei, Theodor Schmidt, Johann  Schyra, Paul  Tegethoff, Max  Thiemann, Josef Thiemann, Heinrich  Tries, Paul Wondzinski,  Karl Wallraven, Hans Wimmershof, Wilhelm Wilgeroth, Victor Woynec, UdSSR, August Zywitzki und drei  Unbekannte.

Gedenkstätte Wenzelnberg

Am 17. April 1945 berichtete der antifaschistische Widerstandskämpfer Karl Bennert den amerikanischen Befreiungstruppen von den Ermordungen am Wenzelnberg. Damals griffen die US-Truppen 25 bekannte NSDAP-Mitglieder auf, die die ermordeten Häftlinge am 30. April 1945 ausgraben mussten. Später wurden die Leichname unter großer Anteilnahme der Bevölkerung vor dem Rathaus in Solingen-Ohligs bestattet. 1965 wurden die Gebeine der Opfer zu der Gedenkstädte Wenzelnberg umgebettet.        

Seit 1946 finden dort jährliche Gedenkveranstaltungen statt. Die drei Verfolgtenorganisationen Vereinigte der Verfolgten des Naziregimes (VVN), Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten (AvS) und der Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN), die sich jahrelang für ein Denkmal in der Wenzelnbergschlucht eingesetzt hatten, konnten es im September 1954 (zunächst ohne offizielle Beteiligung der anliegenden Kommunen) eröffnen. Erst seit Anfang der 1990er und nach langer Diskussion wird die Gedenkveranstaltung reihum von den fünf Städten Solingen, Remscheid, Wuppertal, Leichlingen und Langenfeld ausgerichtet.       

Kein Täter wurde je verurteilt

Der Mord an den 71 Häftlingen aus Gefängnissen wird juristisch ungesühnt bleiben. Der militärische und verantwortliche Befehlshaber, Generalfeldmarschall Walter Model, entzog sich 1945 dem Strafgericht durch Selbstmord. Auch SS-Standartenführer Rudolf Batz tötete sich 1961 selbst. Die anderen Täter wurden nicht belangt oder gar nicht erst ermittelt. Der mutmaßliche Leiter des Exekutionskommandos, SS-Hauptsturmführer Theodor Goeke (siehe Fotos unten) gilt offiziell als vermisst. Bis heute gibt es die Verdacht, dass er unter einer anderen Identität untergetaucht ist.  Folgende Namen der mutmaßlich Beteiligten wurden bekannt: Von der Gestapo Wuppertal waren beteiligt Hufenstuhl, Goeke, Blume, Dahlmann, Ilvermann, Kloß, Schalenberger, Hornberger und Michels; von der Gestapo Solingen waren beteiligt: Burmann, Nees, Wald, Endes, Vogel, Schwarz, Schneller, Jessinghaus, Zymni, Mertens.

Beteiligung des späteren LKA-Chefs am Massaker

Auch der Kripobeamter Friedrich Karst (später Leiter des Landeskriminalamts LKA 1946-1948) war an dem Massaker in der Wenzelnbergschlucht beteiligt. Dies wurde erst 2019 durch einem Gutachten des Historikers Martin Hölzl (Münster) bekannt, welches das LKA in Auftrag gegeben hatte.  Dem Gutachten zufolge führte Friedrich Karst Gefangene an das ausgehobenen Massengrabs heran und half später beim Vergraben der Leichname der Opfer in der Wenzelnbergschlucht. Grundlage dafür  ist eine protokollierte „dienstlichen Äußerung“  des ehemaligen LKA-Chefs, welches 1948 im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wegen Mordes, Beihilfe zum Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durchgeführt wurde. Vor diesem Hintergrund muss man die "schludrigen" Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Wuppertal in einem neuen Licht betrachten, denn das ehemalige NSDAP-Mitglied Friedrich Karst wurde 1948 als LKA Chef nicht zur Sache vernommen.
Karst sagte nach dem Krieg, er habe zusammen mit anderen die Opfer zur Sammelstelle geführt. An den Erschießungen selbst habe er sich nicht beteiligt, sondern zum Abschluss lediglich noch beim „Zuschaufeln des Grabes“ mitgewirkt. Er hätte der Gestapo erklärt, für „Erschießungen sei er nicht zu haben“. Sein Mitwirken sei laut einem Befehl Heinrich Himmlersl erzwungen gewesen. Hätte er nicht teilgenommen, wäre er sofort standrechtlich erschossen worden. Eine solchen Befehlnotstand, so der Historiker Martin Hölzl, gab es nicht. Karst stellte hier eine „reine Schutzbehauptung“ auf. 

Die Staatsanwaltschaft Wuppertal stellte das Ermittlungsverfahren gegen Karst und andere Beteiligte im Juni 1949 mit der Begründung ein, die an der Ermordungsaktion vor Ort Beteiligten hätte sich in einer „Befehlsnotstandssituation“ befunden. Nach § 6 des „Straffreiheitsgesetzes“ von 1954 wurde Straffreiheit für Straftaten gewährt, die „unter dem Einfluss der außergewöhnlichen Verhältnisse des Zusammenbruchs zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 31. Juli 1945 in der Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht insbesondere auf Grund eines Befehls“ begangen wurden. Diese war faktisch eine Generalamnestie für alle Täter der „Endphase-Verbrechen“.

DIE LINKE. gedenkt in stiller Verneigung

DIE LINKE. Rheinisch-Bergischer Kreis hatte eigentlich vor, mit diesem Jubiläum (75) an das Kriegsende im Bergischen Land in einer eigene Gedenkveranstaltung zu erinnern und sich wieder an der jährlichen Veranstaltung in der Schlucht am Wenzelnberg zu beteiligen. Diese fallen wegen der Schutzmaßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 aus. Trotzdem will DIE LINKE. diesen Tag in Erinnerung halten und die Veranstaltungen im nächsten Jahr durchführen.

In diesem Jahr haben zwei Parteiitglieder mit Schutzabstand und in stiller Verneigung einen Kranz an der Gedenkstätte Wenzelnberg niedergelegt, um damit zu dokumentieren, dass wir die Opfer auch in der jetzigen Krise nicht vergessen. Bemerkenswert, dass auch viele andere den Opfern gedacht haben und Kränze am Mahnmal abgelegt haben. Die Opfer sind nicht vergessen! Siehe Fotos unten!

Rechtsextreme Ideologie wieder hoffähig

„Gerade in einer Zeit, in der faschistische Thesen und rassistische Parteien wieder hoffähig werden, ist es wichtig Zeichen für den Frieden zu setzen. Natürlich würden wir gerne mit mehr LINKEN Parteimitgliedern und anderen demokratischen Organisationen und antifaschistischen Bündnispartnern an einer angemessene Gedenkfeier teilnehmen, aber unter den gegeben Umständen, sollten wir die Schutzmaßnahmen unbedingt respektieren.“ meint Klaus Reuschel-Schwitalla, Vorstandmitglied DIE LINKE. Rheinisch-Bergischer Kreis und Ratsmitglied in Leichlingen.

Die Opfer der Nationalsozialisten sind nicht vergessen und die Kranzniederlegung steht symbolisch für die vielen anderen Menschen, die sich erinnern und welche die Erinnerung wachhalten werden. „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus! Wir tragen nicht die Verantwortung für das, was unsere Vorfahren taten. Aber wir tragen die Verantwortung für das was wir tun, oder auch nicht tun, damit sich so etwas nicht wiederholen kann.“ endet Reuschel-Schwitalla.

Weitere freie ARCHIVFOTOS (1945, 1965,  2020) von der Wenzelbergschlucht am Ende des Textes. 

Quellen: